Hanno Millesi: Der Charme der langen Wege

Einige von euch erinnern sich vielleicht noch an die Zeit, als Geräusche im Film nicht vom Computer kamen. Als sie noch mühsam von kreativen Menschen mit zahlreichen zweckentfremdeten Materialien zeitaufwändig aufgenommen und mit dem Film synchronisiert wurden.

Die Laserkanone auf dem Raumschiff, die in Wahrheit Glasreiniger ist, der auf eine heiße Herdplatte gesprüht wird. Ein Stück rohes Fleisch, das auf den Tisch geknallt wird, simuliert die Treffer bei einer wilden Schlägerei und das Knirschen des frisch gefallen Schnees unter den Schuhen des romantischen Helde, stammt vom Mehl, das großzügig auf dem Boden verstreut liegt.

Lambert, zu seinen besten Zeiten nur als Bert bekannt, war ein großer dieses Fachs. Gemeinsam mit Fred hat er unzähligen Filmen eine Stimme gegeben. Bis die Computer kamen und sie überflüssig machten.Lambert hat sich seither zurückgezogen, ist sonderlich geworden, tauscht sich nur mit Frau Hauptmann, seiner Putzfrau aus. Als ihn bei einem Spaziergang ein Golfball am Kopf trifft, verändert sich seine Welt erneut. Es dauert einen ganzen Tag bis er wieder heim findet und dort ist nichts mehr so, wie es war.

Und jetzt?

Ich finde die Welt der Geräuschemacher:innen sehr spannend und habe auch schon einige Reportagen dazu gesehen. Die Kreativität der Menschen ist bewundernswert. Deshalb hat mich die Beschreibung des kleinen Buches, das hier nehmen mit liegt, auch angesprochen. Genauso wie das Schicksal der Hauptperson, Lambert. Wenn ein Mensch, dessen größtes Talent es war, Geräusche zu machen und damit Filmen eine Lebendigkeit zu verleihen, sein Gehör verliert, muss das grausam sein. Ja, natürlich, es ist immer grausam, wenn man sein Gehör verliert, aber ich denke, es ist nochmals anders, wenn man damit seinen Lebensunterhalt verdient hat. Mit dem Hören. Mit den Geräuschen.

Was ich bekommen habe, ist etwas völlig anderes. Eigentlich kann ich nicht mal genau definieren, was es ist. Eine wirre Ansammlung von Erinnerungsfetzen, willkürlich aneinandergereiht, ohne große Erklärungen. Wenn es so ist, alt zu werden, dann ist alt werden grausam. Und einsam. Aber auch eine Warnung, sich selbst im Alter nicht zu sehr zu isolieren.

Ok, ich gebe zu, das habe ich jetzt frei interpretiert, dass das dahinter stecken könnte. Denn wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, was mir der Autor sagen will. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er mir überhaupt etwas sagen will oder ob er nur die Gedanken aus seinem Hirn haben wollte. Ich habe zu diesem Buch keinen Zugang gefunden. Und ich habe im letzten Viertel endgültig die Segel gestrichen, nachdem ich in der zweiten Hälfte von Seite zu Seite immer schneller und flüchtiger gelesen habe. Seit langer Zeit war das mal wieder ein Buch, das definitiv überhaupt nicht meines war.

Hanno Millesi

geboren in Wien, Studium an der Universität Wien und an der Hochschule für angewandte Kunst; in den 90er-Jahren u.a. Assistent von Hermann Nitsch und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums moderner Kunst in Wien. Auszeichnungen (Auswahl): Reinhard-Priessnitz-Preis (2017), Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien (2011, 2012), Projekt- und Staatsstipendium für Literatur des BKA.

Mit seinem Roman Die vier Weltteile, der innerhalb kurzer Zeit die dritte Auflage erreichte, war er für den Österreichischen Buchpreis 2018 nominiert und im April 2018 auf der SWR Bestenliste sowie im Mai und im Juni Jahres auf der ORF Bestenliste vertreten.

Buchinfo: Der Charme der langen Wege von Hanno Millesi, erschienen bei EditionAtelier, 26. Juli 2021, 192 Seiten, gebunden mit Leseband. € 20,00, ISBN 978-3-99065-057-8. Danke für das Leseexemplar.


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