Klaas Huizing: Zu Dritt

Karl Barth gilt als der “Kirchenvater des 20. Jahrhunderts” und als Kopf der “Bekennenden Kirche” im Kampf gegen Hitler. Sein Bild schaffte es auf die Cover von Spiegel und New York Times Magazine. Doch wie lebte Karl Barth privat? Mit Zu Dritt gewährt Klaas Huizing seinen Lesern Einblick in eine ganz besondere Familienkonstellation.

COV_HUIZING_ZUDRITT_LAm 10. Mai 1886 wurde Karl Barth in Basel geboren. Offensichtlich hat das “Erbe” seines Vaters, er war Theologieprofessort, die Familie stark geprägt. Neben Karl wendet sich auch sein Bruder Peter der Theologie zu.

Sein Studium der Evangelischen Theologie führt den jungen Karl Barth nach Bern, Berlin, Tübingen und Marburg. In Genf wird er schließlich Hilfsprediger der deutschsprachigen Gemeinde. Hier lernt er auch Nelly Hoffmann kennen und lieben. Beide heiraten und bekommen fünf Kinder. Die Rollen sind dabei klar verteilt: Karl ist der Intellektuelle, der Wissenschaftler und Ernährer, Nelly die “Haushaltsministerin”, wie er sie später nennt. Ihr obliegt es, ihrem Gatten Rücken und Geist frei zu halten, die Kinder zu erziehen und im Haus nach dem Rechten zu sehen.

Muss man dieses Opfer für die Wissenschaft bringen?

Das Familienleben gerät aus den Fugen, als Karl Barth Charlotte von Kirschbaum, eine 13 Jahre jüngere Deutsche, kennenlernt. Ihr scharfer Verstand und ihre Diskussionsfreude faszinieren den Theologen so sehr, dass er auf ihre Unterstützung nicht mehr verzichten will. Immer mehr Zeit verbringen sie gemeinsam, bis Karl seiner Frau Nelly vorschlägt, eine “Notgemeinschaft” zu gründen. Charlotte soll zu der Familie ins Haus ziehen, damit er, Karl, jederzeit mit ihr diskutiere und ihre gemeinsame Arbeit voranbringen kann.

Nach langem Widerstand fügen sich beide Frauen in dieses Schicksal und leben 35 Jahre eine Ménage à trois. Stecken ihr eigenen Bedürfnisse zurück für einen Mann, der das selbstverständlich findet, geht es doch um sein großes Werk Die kirchliche Dogmatik, dem er alles unterordnet.

Wie speziell dieses Zusammenleben war, zeigt bis heute die Grabplatte am Familiengrab der Barths in Basel. Nach Karls Tod hat Nelly zugestimmt, dass auch Charlotte im Familiengrab beigesetzt wird.

Faszinierend und irritierend

Zu Dritt von Klaas Huizing hat mich gleichzeitig fasziniert und irritiert. Mit welchem Selbstverständnis Karl Barth von zwei Frauen erwartet, dass sie ihr eigenes Leben komplett seiner Karriere unterordnen, macht mich fassungslos. Da sehe ich nichts von dem offenen Menschen, der seiner Zeit voraus sein wollte, der gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit eintrat. Für ihn muss man den Spruch “Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau” abwandeln. Hinter Barth standen zwei starke Frauen, sonst hätte er vielleicht nie die Bedeutung für die Evangelische Kirche erlangt, die ihm heute zugestanden wird.

Gleichzeitig muss ich gestehen, dass der Theologe offenbar ein ganz besonderes Charisma hatte. Als Charlotte von Kirschbaum an Demenz erkrankt und im Pflegeheim versorgt werden muss. wendet Karl Barth sich wieder seiner Frau Nelly zu. Und tatsächlich stimmt diese, nach Jahrzehnten auf dem intellektuellen und emotionalen Abstellgleis, dieser Annäherung zu und unterstützt ihn in seinen letzten Jahren.

Zu Dritt ist ein sehr bewegendes, intelligentes Buch, das mir tiefe Einblicke in eine ganz besondere Familie gewährt hat. Auch wenn ich immer wieder den Kopf über so viel “machohaftes” Selbstverständnis schütteln musste und es traurig fand, wie weit Nelly und Charlotte ihr eigenes Leben zurück gesteckt haben, war das Aufbäumen der beiden zwischendurch immer wieder faszinierend. Nelly, die irgendwann begonnen hat, innerhalb dieses Konstrukts ihr eigenes Leben zu führen. Charlotte, der nach und nach bewusst wurde, was sie alles aufgegeben hat und wie viel von ihr selbst Karls Werken zugeschrieben wird.

Ich fand das Buch wirklich toll und empfehle es gern weiter.

Klaas Huizing

1958 geboren, Niederländer, studierte in Münster, Hamburg, Kampen (NL), Heidelberg und München Philosophie und Theologie. Promotion, Habilitation, lehrt seit 1998 als Professor für Ästhetische Theologie und Ethik an der Universität Würzburg. Seit 1993 Mitglied im PEN. Von 2007 bis 2015 Chefredakteur des Kulturmagazins OPUS, seitdem Herausgeber. Er lebt u. a. in Berlin. Mehrere Auszeichnungen und Preise.

Zahlreiche theologische Publikationen, ein Theaterstück und zwölf Romane. Mit seinem in mehrere Sprachen übersetzten Bestseller »Der Buchtrinker«, dem Kant-Roman »Das Ding an sich« und »Mein Süßkind. Ein Jesus-Roman« wurde er einem größeren Publikum bekannt. Mit seinem Familienroman »Bruderland« war er 2015 für die »Hotlist«, den Preis der unabhängigen Verlage nominiert.

Zeitgleich mit dem Roman »Zu Dritt« erscheint im Kreuz Verlag (Herder) von Klaas Huizing »Gottes Genosse. Eine Annäherung an Karl Barth«.

Buchinfo: Zu Dritt von Klaas Huizing, erschienen bei Klöpfer&Meyer, 30.08.2018, 400 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 25,00 €, ISBN 978-3-86351-475-4


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