Michelle Painchaud: Nichts davon ist wahr

Für Eltern muss es furchtbar sein, wenn ein Kind von heute auf morgen spurlos verschwindet und nie wieder auftaucht. Es gibt kein Grab, an dem man trauern kann, keinen wirklichen Abschied. Familie Silverman passiert genau das. Erica war vier, als sie verschwand.

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Familie Silverman steht auf der Sonnenseite des Lebens. Sie sind finanziell sehr gut gestellt und haben mit der kleinen Erica das reizendste Kind der Welt. Ihre heile Welt gerät aus den Fugen, als die vierjährige Erica plötzlich spurlos verschwindet. Obwohl der Polizeiapparat auf Hochtouren läuft, Ericas Bild in allen Sendern und auf allen Zeitungen geteilt wird, bleibt das Kind verschwunden. Keine Lösegeldforderung, keine Leiche, nichts. Die Unsicherheit lässt Herrn Silverman zerbrechen. Er zieht sich in sich selbst zurück und lässt seine Frau mit ihrer Trauer und Verzweiflung alleine zurück.

Dreizehn Jahre später. Ein junges Mädchen wird aufgefunden. Der DNA-Abgleich sorgt für eine Überraschung. Das Mädchen ist Erica Silverman. Dieses Mal gibt es keinen Zweifel, nicht wie bei den beiden Mädchen, die sich Jahre zuvor schon als Erica ausgeben und ein Leben in Luxus führen wollten. Die DNA ist doch der Beweis, oder?

Schnell lebt sich die Siebzehnjährige in der Villa ein, behütet und umsorgt von ihrer Mutter, die so unendlich glücklich ist, ihr Kind wieder bei sich zu haben. Auch in der Schule läuft alles nach Plan, sieht man davon ab, dass sich Erica auffallend stark von den “Freaks” ihrer Klasse angezogen fühlt. Hier muss sie nicht ständig lächeln. Bei ihnen hat sie das Gefühl, mehr sie selbst sein zu dürfen. Obwohl vor allem Taylor, die Tochter eines umstrittenen Mafia-Anwalts, keinen Hehl daraus macht, dass sie Erica für ein Fake hält. Für ein weiteres Mädchen, das sich nur an Familie Silverman bereichern will. Hat sie damit recht? Fühlt sich Erica deshalb so zu ihr hingezogen?

Ausgesucht um zu betrügen

Ich stelle es mir furchtbar vor, wenn ein Kind spurlos verschwindet. Niemand weiß, lebt es noch oder wurde es getötet und irgendwo verscharrt. Es gibt kein Grab, an dem man trauern kann, keine Chance, wirklich abzuschließen.

Tatsächlich gibt es Menschen, die sich genau solche Situationen zu Nutze machen, um aus diesem Leid Kapital zu schlagen. Sie trillen ähnlich aussehende Kinder so lange, bis diese den Platz der Verschwundenen einnehmen können. Dabei schrecken sie selbst vor kosmetischen Operationen nicht zurück. Möglichst perfekt soll das Double sein, wenn sich der Einsatz lohnt.

Im Fall der verschwundenen Erica lohnt sich auch der größte Einsatz, denn die Silvermans hüten in ihrem Safe ein millionenschweres Gemälde. In den Augen kaltblütiger Betrüger Grund genug, mit den Gefühlen der gebeutelten Eltern zu spielen und einem weiteren unschuldigen Kind, seine Kindheit zu nehmen. Es zum Werkzeug zu machen.

Geldgier kennt keine Grenzen

Mir war nicht klar, wie skrupellos Betrüger sein können. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass jemand ein Kind adoptiert, nur weil es einem anderen, reich und verschwunden, ähnlich sieht. Es dann über viele Jahre perfekt auf seine künftige Rolle “abzurichten”. Aber ich glaube, dass es das wirklich gibt, wenn der Anreiz hoch genug und der Täter skrupellos genug ist.

Nichts davon ist wahr von Michelle Painchaud wurde eigentlich für Jugendliche geschrieben. Ich finde aber, auch Erwachsene können viel davon lernen. Hört auf, Menschen, die nicht so reagieren, wie ihr euch das vorstellt, in Schubladen zu stecken. Lasst euch nicht vom schönen Schein blenden. Und vor allem, geht sorgsam mit Menschen um, die Schweres erlebt haben.

Michelle Painchaud hat mich mit Nichts davon ist wahr nachdenklich gemacht und für ein Thema sensibilisiert, mit dem ich mich zuvor nicht beschäftigt habe. Kann ich allen nur empfehlen.

|| Ich würde mich übrigens freuen, wenn ihr euch – bei Interesse – dieses Buch im regionalen Buchhandel bei euch vor Ort bestellt. Damit steigen die Chancen, dass wir Buchfans auch in Zukunft noch gelegentlich dort bummeln und stöbern können.||

Michelle Painchaud

Michelle Painchaud wurde in Seattle geboren, wuchs aber auf Hawaii auf, wo sie sich heimlich zu Partys auf den Zuckerrohrfeldern schlich. Der kleine Teil ihres Gehirns, der nicht von Geschichten über beeindruckende Teenager heimgesucht wird, ist für Katzen und Animes reserviert. Sie lebt in San Diego, Kalifornien.

Aus dem Amerikanischen von Stephanie Singh.

Buchinfo: Nichts davon ist wahr von Michelle Painchaud, erschienen bei dtv junior, 23. August 2019, 304 Seiten, € 9,95, ISBN 978-3-423-71834-9. Danke für das Leseexemplar.


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