Wien, 1938. Die Nazis haben Österreich zum “Anschluss” gezwungen, mit entsetzlichen Folgen für die Kleinmanns, eine jüdische Familie. Zusammen mit seinem Vater Gustav wird der minderjährige Fritz ins Lager geschickt. In Buchenwald beginnt ein für beide ein unvorstellbar grausamer Leidensweg.

Fritz Kleinmann streunt durch die Stadt, spielt mit seinen Freunden Fußball, tut alles, was ein Halbwüchsiger eben tut. Große finanzielle Mittel haben seine Eltern nicht. Der Vater Gustav verdient als Polsterer gerade das Nötigste für die sechsköpfige Familie. Seine Frau Tini verdient mit Näharbeiten dazu, wenn es möglich ist Woran es aber nie fehlt, sind Liebe und Fürsorge.
Die Situation ändert sich dramatisch, als die deutschen Nazis Österreich zum “Anschluss” zwingen. Denn die Kleinmanns sind Juden, weder streng gläubig noch gehen sie in die Synagoge. Für den Hass der Nazis macht das keinen Unterschied. Plündernd und prügelnd ziehen sie durch die Straßen Wiens, verhaften wahllos Menschen. Manche dürfen zurück zu ihren Familien, schwer gezeichnet durch die “Vernehmungen”. Andere verschwinden von heute auf morgen spurlos.
Nach dem “Anschluss” beginnt die Hetzjagd
Auch die Kleinmanns entgehen der Hetzjagd nicht. Zwar kann Edith, die älteste Tochter, nach England flüchten und Kurt, der Jüngste, wird zu Verwandten nach Amerika geschickt. Doch so sehr sich Tini anstrengt, es gelingt ihr nicht, auch Fritz und Herta, die zweite Tochter, in Sicherheit zu bringen. Ständig lassen die Nazis sich neue Schikanen einfallen, um die Auswanderung ihrer Opfer zu verhindern.
Als Gustav und Fritz verhaftet und ins Lager Buchenwald gebracht werden, verstärkt Tini ihre Versuche, wenigstens Fritz, der fast noch ein Kind ist, zu befreien. Umsonst. Wie viele andere Jugendliche muss er unfassbare Grausamkeiten mit ansehen. Halt gibt ihm nur sein Vater und umgekehrt.
Das Grauen erreicht eine neue Dimension, als Gustav nach Auschwitz verlegt werden soll und Fritz sich freiwillig auf die Transportliste setzen lässt. Was bislang nur gemunkelt wurde, nimmt ganz real Gestalt an: Die Nazis haben dieses Lager nur gebaut, um Menschen, die ihnen nicht passen, in großem Maßstab und perfekt organisiert zu töten.
Das Grauen erschüttert immer wieder aufs Neue
Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte von Jeremy Dronfield, hat mich tief bewegt. So viel ich über diese Zeit auch gelesen habe, es wundert mich immer wieder, wie besonders die Menschen sind, die diese unmenschlichen Quälereien überlebt haben. Auch dieses Buch arbeitet nicht mit Vorwürfen und erhobenem Zeigefinger, ist aber dadurch nicht weniger berührend. Wer nicht dabei war, wird sich die Intensität des Bösen vermutlich sowieso nie vorstellen können.
Mindest ebenso bewegend wie die Grausamkeiten war die Hilfe und Unterstützung füreinander. Die Netzwerke, die sich gebildet haben, um sich gegenseitig bestmöglich von Tag zu Tag zu bringen. Netzwerke, die auch den Widerstand geplant und damit ihr Leben riskiert haben. Die aus jedem noch so kleinen Erfolg innere Kraft geschöpft haben.
Fritz und Gustav gehören zu den wenigen, die die Lager überleben. Zurück in Wien erfahren sie, dass Tini und Herta spurlos verschwunden sind. Die Frauen wurden nach Polen deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Vermutlich wurden sie mit Tausenden anderen erschossen und in anonymen Massengräbern verscharrt.
Jeder Mensch verarbeitet sein Leid anders
Vater und Sohn Kleinmann gehen mit dem Erlebten ganz unterschiedlich um. Während der Vater die Vergangenheit verdrängt, nicht darüber reden will und eine neue Ehe eingeht, wählt Fritz einen anderen Weg. Er geht mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit, will aufklären und dazu beitragen, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen.
Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte ist ein Ergebnis daraus. Der Autor, Jeremy Dronfield, ist Historiker und hat sein Buch mit unzähligen Quellennachweisen versehen. Links und weiterführende Literatur, die es auch den hartgesottensten Verweigerern und Relativierern unmöglich machen, die Fakten des Holocaust von der Hand zu weisen.
Danke dafür!
Wir dürfen den Mund nicht halten
Am 27. Januar 1945, also genau heute vor 75 Jahren, wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die sowjetische Armee befreit. Noch vor wenigen Jahren hätte ich gesagt: Sowas passiert in Deutschland nie wieder. Inzwischen sehe ich erschreckende Parallelen zu den Anfängen der Nazi-Zeit. Auch in Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte habe ich diese Parallelen gesehen.
Die Vorwürfe rechter Hetzer, man dürfe sein Meinung nicht mehr sagen, hören wir heute wieder, wobei sie unter “Meinung” geschichtsrevisionistische Slogans, rassistische Hetze und Hassparolen verstehen. Und die brauchen wir tatsächlich nicht in unserer Gesellschaft.
Auch die Opferhaltung “wenn wir Nazis mal was machen, wird das gleich aufgebauscht, wenn die Juden was machen, hört man davon nichts” erleben wir heute wieder tagtäglich. Die “Bösen” sind in diesem Fall meistens Menschen, die vor Krieg und Gefahr geflüchtet sind und unter anderem in Deutschland Zuflucht suchen.
Wenn ich solche Parolen höre oder lese, halte ich meinen Mund nicht. Ich werde ihn auch nie halten. Und genau dafür sind Bücher wie Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte so wichtig. Sie zeigen die Gefahren im Vorfeld auf und liefern Argumente, die nicht von der Hand zu weisen sind.
|| Ich würde mich übrigens freuen, wenn ihr euch – bei Interesse – dieses Buch im regionalen Buchhandel bei euch vor Ort bestellt. Damit steigen die Chancen, dass wir Buchfans auch in Zukunft noch gelegentlich dort bummeln und stöbern können.||
Jeremy Dronfield
Jeremy Dronfield, geboren 1965, ist Historiker und Archäologe. Nach dem Abschluss seiner Doktorarbeit in Cambridge wandte er sich dem Schreiben zu. Er ist Autor mehrerer preisgekrönter Romane und Sachbücher.
Aus dem Englischen von Ulrike Strerath-Bolz
Buchinfo: Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte von Jeremy Dronfield, erschienen bei Droemer, 30.12.2019, 464 Seiten, Klappenbroschur, € 16,99 (E-Book € 12,99), ISBN: 978-3-426-27804-8. Vielen Dank für das Leseexemplar.
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