“Frau mit Rentenschock und echten Zähnen sucht Gleichgesinnte(n). Bin Kettenraucherin und depressiv. Leide seit vierzig Jahren unter einer schweren Schlafstörung. Hobby: Gewaltphantasien. Zuschriften unter…” So könnte sie aussehen, die Anzeige, die Almut Block nach ihrer Pensionierung aufgeben würde. Doch dazu kommt es nicht. Der überraschende Anruf einer alten Freundin verspricht Spiel, Spaß und Spannung pur – zumindest auf den ersten Blick.
Sitzen vier Omas im Knast. Ok, klingt irgendwie komisch, ist es aber nicht. Zumindest nicht für Almut Block. Nach Jahrzehnten täglicher Maloche sorgt der Ruhestand bei ihr erst einmal für eine ausgewachsene Depression. Da helfen auch die Broschüren der Bundesfamilienministerin wenig, die nicht müde wird, zu betonen, welchen Stellenwert Ruheständler in der Gesellschaft haben und – dank Alterspyramide – künftig noch haben werden. Und wie wichtig es sei, sich als Best Ager weiterhin für die Gesellschaft einzubringen.
Auf zum “Happy Aging”
Doch zum Glück gibt es wirklich gute Freundinnen, die auch nach jahrelanger Funkstille genau dann für einen da sind, wenn man sie am nötigsten braucht. Gemeinsam starten sie das Projekt “Happy Aging”: Vier rüstigen Rentnerinnen beschließen, sich von ihren Krankenkassen Dauerurlaub all inklusive im Seniorenwohnheim spendieren zu lassen. Klar, ganz einfach wird das nicht werden, aber ein ausgekügelter Plan mit intensiver Einarbeitung in die Krankheitsbilder der Pflegestufe II sollte es schon richten.
So gut die Idee auch war, die Wirklichkeit ist es leider nicht. Zwar hatte niemand Ballermann Partys und Sangria aus Eimern erwartet, eine Endlagerstätte für senile Altlasten aber auch nicht. Und dann kommt diese Familienministerin noch mit ihrem dämlichen Pilotprojekt “Leuchtturm” daher. Das darf doch alles nicht wahr sein!
Doch was ist überhaupt Wirklichkeit im Leben von Almut Block? Die Freundinnen? Die Schlaflosigkeit? Oder das menschliche Versuchslabor, in dem sie gelandet ist?
Generation Altersheim: Versuchskaninchen wider Willen?
“Der Zwerg reinigt den Kittel” ist Sozialsatire der bösesten Art. Was als witzig-skurriles Seniorenstück beginnt, endet in einer durchaus vorstellbaren Lösung für den demographischen Wandel in unserer Gesellschaft. Warum sollen die ausgemusterten Senioren nicht als Versuchskaninchen ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten? Schließlich steigt die Zahl der Alten kontinuierlich und die möchten gerne gesund und munter ihren Lebensabend genießen. Da könnte die heutige Generation Altersheim doch ruhig ihr Scherflein dazu beitragen. Aber vielleicht tut sie das ja längst. Vielleicht sind Personalknappheit und mangelnde Zuwendung ja Mittel zum Zweck? Wer von uns weiß schon so genau, was sich hinter so mancher Heimmauer abspielt? Dass die Wissenschaft hingegen bereit ist, auch große Opfer für ihre Erfolge in Kauf zu nehmen, das wissen wir.
Anita Augustins Buch hat mich sehr nachdenklich gemacht. Vielleicht deshalb, weil ich mich kurz (aber nur ganz kurz) dabei ertappt habe, ein “Leuchtturmprojekt” als etwas andere Lösung für den demographischen Wandel unserer Gesellschaft gar nicht so doof zu finden. Schließlich wäre es sehr beruhigend, wenn man ohne die heute bekannten Zipperlein und ernsten Erkrankungen altern könnte. Und Tierversuche dafür wären dann auch überflüssig…
Anita Augustin
Geboren 1970 in Klagenfurt, hat in Wien Philosophie und Theaterwissenschaft studiert und an der Ersten Österreichischen Barkeeperschule ihr Diplom gemacht. Nach Stationen in New York und London lebt sie heute als freie Dramaturgin in Berlin.
Buchinfo: Der Zwerg reinigt den Kittel von Anita Augustin, erschienen bei Ullstein, August 2012, 336 Seiten, € 14,99, ISBN-13: 9783550080050
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