Eine Nacht im März. Helen ist auf dem Heimweg, als ihr vor dem Nachbarhaus eine Frau vor die Füße fällt. Unfähig die Polizei zu informieren, eilt sie heim und beobachtet vom Fenster aus einen Mann, der aus dem Nachbarhaus läuft, auf die Tote zugeht und dann davoneilt. In Helen reift ein grausamer Plan.
Helen ist zutiefst unzufrieden mit ihrem Leben. Sie mag weder ihren hageren, flachbrüstigen Körper, noch ihr Leben ohne Höhen und Tiefen.
Nicht einmal das heiß ersehnte Baby hatte sich in diesem Körper einnisten und heranwachsen wollen. Robert, ihr Freund, hatte sie deshalb auch verlassen.
Sie hat alles, was ich nicht habe
Und dann lag da diese Frau. Auf den ersten Blick hat Helen erkannt, dass die Fremde alles hatte, wonach sie sich ihr Leben lang sehnte. Ein erfülltes und aufregendes Leben. Einen Mann, elegant und mit geschmeidigen Bewegungen, den sie mit Sicherheit sofort wiedererkennen würde.
In Helen reift ein Plan. Sie würde diesem Mann seine Frau ersetzen. Sie würde in ihr altes Leben schlüpfen und dafür sorgen, dass er ohne sie nicht mehr sein wollte und konnte. Minutiös organisiert sie ihr weiteres Vorgehen und wird zum ganz persönlichen Albtraum ihres Opfers.
Zweifellos im Wahn
Die Liebe der anderen von Silke Knäpper ist ein sehr besonderes Buch, das weit tiefer geht, als alles, was ich bislang zum Thema Stalking gelesen habe. Silke Knäpper lässt uns tief in die Seele einer Frau schauen, die unendlich unzufrieden und einsam ist. Sie nimmt uns mit auf die Reise dieses Menschen in den Wahn, eine andere werden zu wollen. Das Leben und die Position eines toten Menschen einnehmen zu wollen. Ohne Rücksicht auf Verluste und ohne die geringsten Zweifel, dass der Partner dieser Toten diesen Rollentausch akzeptieren wird. In der sicheren Überzeugung, dass dann alle Probleme gelöst sind. Dass ihr Leben endlich erfüllt und glücklich sein wird.
Als Außenstehende blickt man fassungslos auf den Verlauf, den Helens Plan nimmt. Mit welcher Nüchternheit sie Schritt für Schritt plant. Wie alles in ihren Augen völlig logisch aussieht. Und schüttelt dann den Kopf, weil man sich vergegenwärtigen muss, dass Helen die Menschen in ihrer Umgebung als Marionetten sehen muss, die ganz selbstverständlich ihrer Logik folgen müssen. Was sie natürlich nicht tun. Schließlich handelt es sich um eigenständig denkende Menschen mit ihren ganz eigenen Plänen und Vorstellungen.
Zwischen Krimi und Wahnsinn
Als Helen realisiert, dass sich die Dinge nicht so entwickeln werden, wie sie es in ihrer kranken Seele plant, wird sie zur Gefahr.
Die Liebe der anderen von Silke Knäpper ist ein wirklich wirklich tolles Buch. Ein bisschen Krimi aber ganz viel Psychologie und Wahnsinn. Dabei ganz leise, ohne große Erschütterungen und mit umso mehr Tiefgang. Von mir eine klare Leseempfehlung.
Silke Knäpper
1967 in Ulm geboren, studierte Romanistik, Germanistik und Anglistik in Wien, Freiburg und Köln.
Nach Lehrtätigkeiten in Saint-Cloud bei Paris und in London kehrte sie 2001 nach Neu-Ulm zurück, wo sie heute als Lehrerin an einem Gymnasium unterrichtet. Für eine Passage aus der Erzählung »Egal, wo man aufwacht« erhielt sie eine erste Auszeichnung beim Irseer Pegasus.
Bei Klöpfer & Meyer erschien 2012 ihr Roman »Im November blüht kein Raps«: »Ein eigen-sinniger Roman«, so Karl-Heinz Ott, »ein Debüt, das heraussticht«.
Buchinfo: Das Lieben der anderen von Silke Knäpper, erschienen bei Klöpfer&Meyer, August 2018, 236 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, € 22,00, ISBN 978-3-86351-474-7. Vielen Dank für das Leseexemplar.
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