Carola Neher war die Muse von Bertolt Brecht und die “Die Königin von Berlin” in der späten Weimarer Republik. Und sie war gefangen in Selbstzweifeln und angetrieben von einem nagenden Ehrgeiz. Charlotte Roth schildert einfühlsam und bezaubernd das Leben dieser besonderen Künstlerin.

Annette ist Bibliothekarin der Bücherei in Weyher bei Edenkoben. Längst hat sie ihre Pläne von einem Studium in einer pulsierenden Stadt begraben. Die Brüder haben ihr ganz geschickt die Pflege der kranken Mutter aufgehalst. Für die unverheiratete Tochter gehört sich das ja so.
Als Georg die Bücherei aufsucht und nach Informationen über eine Carola Neher fragt, kommt plötzlich Spannung in Annettes Leben. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach den Spuren der jungen Frau, die als Karoline Neher in München geboren wurde und deren Onkel im pfälzischen Weyher lebte.
Ein Leben für die Träume
Karoline weiß schon früh: Sie will Schauspielerin werden. Aber das scheint aussichtslos. Im konservativen München kurz nach dem zweiten Weltkrieg soll sie als eines von drei Kindern der verwitweten Mutter unter die Arme greifen, eine Banklehre machen, Geld verdienen. Ein Korsett, in das sie sich nicht pressen lassen kann. Karoline ergreift die Flucht.
Einige Jahre später. Aus aus der schüchternen, unscheinbaren Karoline wurde der stolze Schmetterling Carola. Verliebt in das Leben und ihre Arbeit flattert sie von Theater zu Theater und von einem Mann zum nächsten. Bis sie Alfred Henschke, ihren Klabung, kennenlernt. Auch wenn sie sich das lange nicht eingestehen will: Es ist Liebe auf den ersten Blick. Nur bei ihm kommt sie zur Ruhe, weil er nichts von ihr erwartet, ihr in allem den Rücken stärkt. Als Klabund seiner Tuberkulose erliegt, gerät Carolas Welt vollends aus den Fugen.
Einfach bezaubernd
Charlotte Roth hat mit Die Königin von Berlin ein bezauberndes Buch geschrieben. Sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Carolas Entwicklung vom “Landei” zum gefeierten Bühnenstar ist so behutsam und gleichzeitig mitreißend geschrieben, dass mir das Lesen trotz vorübergehender Augenprobleme ein Genuss war.
Tatsächlich habe von Carola Neher noch nie gehört, aber ich mag Geschichten junger, starker Frauen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts unbeirrt ihren Weg gegangen sind und dafür viel Schmerz und Härte ertragen mussten. Gerade mal 100 Jahre sind seither vergangen und so vieles wurde inzwischen für uns selbstverständlich. Aber es gibt auch Dinge, die sich nicht verändert haben. Nicht nur in der Künstlerszene müssen sich Frauen immer noch Anzüglichkeiten gefallen lassen. Müssen sich gegen Übergriffe wehren und beweisen, dass sie den Anforderungen gewachsen sind.
Als es darauf ankam, war niemand da
Sehr traurig war das Ende. Carola Neher ist mit ihrem zweiten Mann, Anatol Becker, vor den Nazis nach Russland geflohen. Dort starb sie in einem Arbeitslager an Typhus. Ohne dass einer ihrer einflussreichen Freunde, die sich in den Jahren zuvor so gern mit ihr geschmückt haben, sich für sie eingesetzt hätten.
Von mir bekommt Die Königin von Berlin von Charlotte Roth ein klares Daumen hoch!
Charlotte Roth
Charlotte Roth, Jahrgang 1965, ist gebürtige Berlinerin, Literaturwissenschaftlerin und seit zehn Jahren freiberuflich als Autorin tätig. Charlotte Roth hat Globetrotter-Blut und zieht mit Mann und Kindern durch Europa. Sie lebt heute in London, liebt aber Berlin über alles.
Ihr Debüt, „Als wir unsterblich waren“, war ein Bestseller, dem seitdem zahlreiche weitere Romane über Frauenschicksale vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte folgten.
Buchinfo: Die Königin von Berlin von Charlotte Roth, erschienen bei Droemer HC, 02. März 2020, 416 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, € 19,99, ISBN: 978-3-426-28232-8. Danke für das Leseexemplar.
Kommentar verfassen