Klaus Scherer: Kugel ins Hirn

Kugel ins Hirn, das war ein Post auf einem sozialen Netzwerk. Das Ziel sollte ein Politiker sein. Der Verursacher des Posts fühlte sich sicher und anonym mit seiner Aussage. Dass das eine Fehleinschätzung war, machten ihm die Ermittlungsbehörden klar. Klaus Scherer war mit ihnen in Deutschland unterwegs.

Seit einigen Jahren verändert sich unsere Sprache sukzessive. Unsagbares wird in einigen Kreisen plötzlich wieder gesellschaftsfähig. Sie interpretieren rohe Kommentare, Polemik, Beleidigungen, Diffamierungen, Relativierungen, antisemitische Angriffe als Meinungsfreiheit. Wer sich dagegen wehrt und nach Maßnahmen ruft, zensiert diese selbstdefinierte, von Hass und Hetze geprägte “Meinungsfreiheit”.

Besonders augenfällig wird dieser Wandel im Internet. Dort wähnen sich viele Kommentator:innen sicher, fühlen sich anonym und unverletzbar. Unterstützt werden sie durch Propagandaprofile unterschiedlichster Art: Automatisierte Profile, sogenannte Bots, bezahlten menschlichen Klickdummys, Profilen rechter Agitator:innen und natürlich viele an sich harmlose Menschen, die frustriert sind, sich abgehängt fühlen und verzweifelt auf der Suche nach einfachen Lösungen sind. Diese finden sie – vermeintlich – bei Rechten, Reichsbürgern, Schwurblern, Leugnern und Co. Dass das nicht stimmt, wissen wir alle. Gerade die Schwächsten der Gesellschaft, Geringverdienende, Alleinerziehende, Arbeitslose, Renterinnen und Rentner, kommen in deren Plänen nämlich nicht vor. Ihr einziges Ziel ist, Hass und Hetze zu schüren und so genau diese Schwächsten weiter zu verunsichern. Zu ihrem eigenen Vorteil.

Ups, wie hat mich die Polizei denn jetzt gefunden?

Was die Hetzer ganz offensichtlich noch nicht bemerkt haben: Das Internet ist nicht anonym. Die Ermittlungsbehörden gehen zunehmend gegen Beleidigungen, Diffamierungen, Holocaust-Relativierungen, Bedrohungen im Netz vor. Mit Erfolg, wie Klaus Scherer in seinem Buch Kugel ins Hirn aufzeigt. Er war mit Strafverfolgern unterwegs bei Menschen, die plötzlich feststellen mussten: Ups, so anonym war ich mit meinen Morddrohungen, meinen Diffamierungen und meiner Hetze ja doch nicht. Wie? Ich muss jetzt vor Gericht?

Klaus Scherer geht dabei auch ausführlich auf die Schwierigkeiten ein, vor denen die Behörden stehen. Längst nicht jeder Fall, der gemeldet wird, kann auch zur Anzeige gebracht werden. Werden zum Beispiel Politiker:innen öffentlich beleidigt, müssen sie aktiv Anzeige erstatten. Die Behörden können sie aber erst dann informieren, wenn sie die Verursacherer:innen der entsprechenden Posts ausgemacht haben. Entscheidet sich der oder die Betroffene dann gegen eine Anzeige, war die Arbeit der Ermittelnden umsonst. Gerade Personen des öffentlichen Lebens sollten hier ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und mit gutem Beispiel vorangehen. Dann trauen sich auch Bürgerinnen und Bürger, diesen Schritt zu gehen.

Im Grund sind die diversen Plattformen in der Pflicht, gegen gemeldete Beiträge vorzugehen. Klaus Scherer geht darauf ausführlich ein. Dass das ein zahnloser Papierdrachen ist, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Facebook ahndet zum Beispiel kaum noch etwas, verweist auf ein hohes Aufkommen und dass man die Verursacher:innen der Kommentare ja ausblenden können. Mir mehrfach passiert, auch mit bekannt antisemitischen Abbildungen, Volksverhetzung und Diffamierung. Deshalb nutzt externe Meldestellen, wenn ihr gegen Hass und Hetze vorgehen wollt. Und denkt daran, es ist eine kleine, aber sehr laute Gruppe, deren Strippenzieher perfekt organisiert sind und die die Ängste von Menschen skrupellos für ihre Ziele nutzen.

Aktiv gegen Hassrede

Wer selbst aktiv werden möchte: Eine gute Übersicht über Meldestellen, nicht nur in Deutschland, hat Hatespeech [zeigt sie an] zusammengestellt.

Kugel ins Hirn zeigt: Die Zeiten, in denen man anonym rumpöbeln konnte, sind vorbei. Die Strafen sind schmerzhaft. Genauso schmerzhaft, wie die Hasskommentare für die Betroffenen.

Klaus Scherer

Klaus Scherer (Jg. 1961), ist Sonderreporter im neuen “Team Story“ des NDR. Zuvor arbeitete er für das Politmagazin Panorama und berichtete als ARD-Korrespondent aus Tokio und Washington. Er ist vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Grimme-Preis und dem Hollywood Independent Documentary Award. Zudem ist er Autor mehrerer Bücher, darunter die SPIEGEL-Bestseller “Nagasaki” und “Wahnsinn Amerika”.

Buchinfo: Kugel ins Hirn von Klaus Scherer, erschienen bei DROEMER, 04. Oktober 2022, 240 Seiten, Klappenbroschur, € 18,00, ISBN: 978-3-426-27891-8. Danke für das Leseexemplar.


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