Clemens J. Setz: Indigo

Im Norden der Steiermark liegt die Helianau, ein Internat für Kinder mit einer ganz speziellen Störung, dem Indigo Syndrom. Wer ihnen zu nahe kommt, muss mit Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Übelkeit rechnen. Clemens Setz, angehender Mathematiklehrer ist wenig begeistert, dass er ausgerechnet hier sein Referendariat ableisten soll. Doch schon bald fesseln ihn die seltsamen Vorgänge in der Helianau. Was passiert mit den Kindern, die in einem fremden Auto davonfahren und nie wieder auftauchen?

Indigo, Syndrom, Esoterik
(Cover: suhrkamp.de)

Clemens Setz beginnt, Nachforschungen anzustellen. Nachforschungen, die der Institutsleitung überhaupt nicht gefallen und die zu Setz’ vorzeitigen Entlassung aus dem Schuldienst führen.

Fünfzehn Jahre später sorgt sein Name für Schlagzeilen. In einem spektakulären Strafprozess wird der ehemalige Mathematiklehrer vom Vorwurf freigesprochen, einen Tierquäler brutal ermordet und ihm dann die Haut vom Leib gezogen zu haben. Robert Tätzel, ehemaliger Schüler der Helianau und “ausgebranntes Indigo Kind”, macht sich auf, die Hintergründe der Tat in Erfahrung zu bringen.

Klingt spannend, zumindest im Klappentext

Umso überraschender ist dann das Buch selbst. Wer auf einen Krimi hofft, kann an dieser Stelle aussteigen. Wer Biss hat und sich gerne mal auf ein Experiment einlässt, liest weiter. Indigo hat es auf die Shortlist Deutscher Buchpreis 2012 geschafft. Dafür muss es ja Gründe geben.

Gleich auf den ersten Seiten lande ich in einer wirren Geschichte über das “Indigo Syndrom”. Setz geht zwar ausführlich auf die Auswirkungen der Störung ein, worum es dabei aber genau geht, enthält er seinen Lesern vor. Es wird über Babys berichtet, deren Eltern in die Wiege spucken müssen, wenn sie ihrem Kind zu nahe kommen. Familien, die nach der Geburt des zweiten Kindes an fürchterlichen Hautausschlägen, Kopfschmerzen und Schwindelgefühlen leiden. Jugendliche, die alleine in kleinen Hütten auf dem Grundstück der Familie wohnen. In sicherem Abstand zu Eltern und Geschwistern.

Über 250 Seiten arbeite ich mich durch Zeitsprünge und Charaktere, die sich mir nicht erschließen. Als wäre das alleine nicht schon verwirrend genug, trägt der Protagonist auch noch den Namen des Autors und der (also der Autor) leidet – laut Klappentext – an den Spätfolgen der Indigo Belastung aus seiner Zeit als Tutor an der Helianau. Auch ein Video Interview mit Clemens J. Setz machte mich nicht schlauer:

Weiterlesen oder aufgeben? Eine Frage, die sich mir ganz selten bei einem Buch stellt. Erst recht nicht, wenn ich es eigentlich rezensieren möchte. Ich entscheide mich für weitermachen und bin froh darüber.

Ok, ganz unbeteiligt war auch Google nicht daran. Denn wider Erwarten fand ich hier Einträge zum Indigo Syndrom. Bislang war ich ja von einer reinen Phantasiewelt des Autors ausgegangen. Indigo war mir nur als Farbe ein Begriff. Laut Wikipedia wird das Indigo Syndrom unter Esoterikern diskutiert. Demzufolge würden vermehrt Babys mit einer indigoblauen Aura geboren, denen ganz besondere psychische und spirituelle Fähigkeiten und Erfahrungen zugesprochen werden. Gleichzeitig seien sie hochintelligent und sehr selbstbewusst und hätten deshalb Probleme mit Autoritäten. Ein Beschwerdebild, dass von der Schulmedizin zu häufig als Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) falsch diagnostiziert und mit Medikament behandelt werden würde. Behauptungen, die nicht durch Erkenntnisse der klassischen Kinder- und Jugendpsychiatrie gestützt werden konnten und deshalb auf die Esoterik Szene beschränkt blieben.

Was wäre, wenn…?

Und siehe da, plötzlich ergibt das Buch einen Sinn. Was wäre, wenn die Esoteriker Recht hätten? Wie würden wir mit einer wachsenden Zahl dieser Kinder umgehen, wie ihren Ansprüchen und Forderungen an Bildung und Sozialkontakt gerecht werden? Wie sie überhaupt erwachsen werden lassen, wenn sie eine solch verheerende Wirkung auf ihr Umfeld haben. Wären solche Institute wie die Helianau eine Lösung, in der ihre natürlichen Grenzen respektiert und das gesamte Lehrangebot auf ihre Bedürfnisse angepasst werden? Welche Auswüchse würde die Forschung treiben? Massenhaft Kinder, die “anders” sind. Massenhaft Studienobjekte. Wie genau würden sie wohl unter die Lupe genommen? Wo wären die Grenzen? Und wie sieht es mit den Menschen aus, die sich langfristig um Menschen mit dem Indigo Syndrom kümmern? Drohen ihnen Spätfolgen?

All das könnten Fragen sein, die Clemens J. Setz beim Schreiben durch den Kopf gingen. Zumindest würden die diversen Fragemente, Berichte, Diagnosen dazu passen. Bleibt die Frage, ob das überhaupt in Setz’ Intention lag. Etwas zu schreiben, was für den Verstand seiner Leser nachvollziehbar ist. Vielleicht macht ja gerade das seine Besonderheit aus.

Indigo war ein sehr spezielles, stellenweise auch dunkles und beklemmendes Lesevergnügen und ich bin froh, nicht auf halber Strecke die Segel gestrichen zu haben. Selten hat mich ein Buch dazu gebracht, mich so intensiv mit seinen Hintergründen und auch mit seinem Autor zu befassen.

Sind Sie ein Indigo Kind?

Wer jetzt ins Zweifeln gekommen ist, ob er/sie selbst vielleicht ein Indigo Kind ist oder war, hier ist der ultimative Test 😉

Sind Sie ein Indigo Kind?

Clemens J. Setz

Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren. Er studierte Mathematik und Germanistik und lebt als Übersetzer und freier Schriftsteller in Graz. Für seinen Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes wurde er 2011 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

Buchinfo: Indigo von Clemens J. Setz, erschienen bei Suhrkamp Taschenbuch, November 2013, 475 Seiten, € 10,99, ISBN: 978-3-518-46477-9

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